Bitte nicht ankern! Warum Seegrasfelder so wichtig für Sardinien und das Mittelmeer sind

Eine intakte Natur ist das Grundkapital für den Segel-Tourismus. In brachen und brackigen Gewässern segeln ist einfach nur halb so schön. Und auf Sardinien schon dreimal nicht – ist die Insel doch bekannt für ihr reines, kristallklares und türkisfarbenes Wasser.

Das ist auch der Verdienst einer ganz bestimmten Pflanze: Seegras, Neptunsgras, Mittelmeer-Seegras oder mit wissenschaftlichem Namen Posidonia Oceanica.

Doch das Seegras ist bei einigen Strand- und Segel-Urlaubern gar nicht beliebt. Zuvorderst, weil viele es für Algen und damit gefährlich halten – was komplett falsch ist. Zum anderen sind da ästhetische Gründe: Es verdeckt das schöne Türkis! Man will ja genau das vor Sardinien haben – und auf Instagram geht das auch gar nicht! Als wär das nicht genug, belegt es als „Müll“ die Strände, sieht da so als schwarzbrauner Teppich gar nicht hübsch aus. Und manchmal manchmal müffelt es sogar. Bäh.

Also, das Seegras hat es schon ein bisschen nötig (und verdient!), dass jemand Werbung dafür macht. Schauen wir uns das zarte Pflänzchen also genauer an.

Das Seegras vor Sardinien im Laufe der Jahreszeiten

Grundsätzlich können Seegrasfelder mehrere Jahrzehnte und sogar bis Jahrhunderte leben – wenn man sie denn lässt. Sie ist eine außerordentlich langsam wachsende und lebende Pflanze.

  1. Keimung und Rhizom-Wachstum: Die Posidonia oceanica vermehrt sich durch Samen, die sich auf dem Meeresboden absetzen. Finden diese geeignete Bedingungen vor, entwickeln sich kleine Pflanzen, die einen unterirdischen Stamm (Rhizom) bilden, der sie am Meeresboden verankert.
  2. Sprossbildung und Wachstum: Aus dem Stamm wachsen vertikale Triebe in Richtung Wasseroberfläche. Diese Triebe entwickeln längliche, schmale Blätter. Sie wachsen relativ langsam, nur wenige Zentimeter pro Jahr.
  3. Reifung und Blüte: Erst nach einigen Jahren erreichen die Triebe ihre Reife und entwickeln Blütenstände. Sie vermehren sich durch Hydrophilie, also Bestäubung unter Wasser. Das Seegras blüht nur alle paar Jahre, wenn die Temperatur- und Lichtverhältnisse passen – und auch nur einmal in ihrem ganzen Leben.
  4. Verbreitung der Samen: Die Samen lösen sich von den Blütenstacheln und werden durch die Wasserströmung verstreut. Wo sie gute Bedingungen vorfinden, beginnt der Keimungsprozess von vorn.
  5. Bildung von Seegraswiesen: Das kontinuierliche Wachstum und die Regeneration der Posidonia-Wiesen findet statt, wenn das Rhizom neue Triebe bildet, und aus Samen, die während der Blütezeit in der Nähe der Mutterpflanzen verbleiben oder aus anderen Seegraswiesen herangetragen werden.
  6. Abgestorbene Blätter und Pflanzen: Einzelne Blätter oder Pflanzen verlieren nach der Blüte ihre Regenerationsfähigkeit und können absterben, während der Rest der Pflanze oder des Feldes weiterlebt. Umweltverschmutzung und Veränderungen der Umgebungsbedingungen sowie Störung und Beschädigung durch den Menschen können aber auch ganze Seegraswiesen sterben.
  7. Lebensende im Küstenschutz: Aber das Seegras ist auch dann noch nützlich. Die verstorbenen Pflanzen, Blätter und Blüten legen sich auf die Küsten und ins Flachwasser und schützen die sardischen Strände zum Beispiel in den Wintermonaten vor Erosion. Manchmal formen Wind und Wellen die abgestorbenen Blütenständen sogar zu Bällen (dazu mehr auf meinem Sardinien-Blog).

Allein, weil sie so langsam wächst und lebt, ist sie unbedingt zu schützen. Denn sie ist eine sehr seltene Art. Die Posidonia oceanica ist endemisch im Mittelmeer. Und da das so seine Mühe mit dem Menschen und dem Klimawandel hat, ist ihr Bestand gefährdet.

Warum ist das Seegras für das Mittelmeer, insbesondere für Sardinien, so wichtig?

Seegraswiesen begünstigen die Artenvielfalt – angesichts des weltweiten Artensterbens also ein Top-Argument für den Schutz der Posidonia
  1. Sauerstoff fürs Mittelmeer: Als Binnenmeer hat es die Tendenz zu versauern. Die Abnahme des pH-Wertes (verursacht durch zu viel CO2, siehe 2.) sorgt vielerorts für Verbrackung und der Meeresboden verschleimt. Durch das Seegras atmet das Meer wieder beser. Indem es ihm CO2 entzieht, wirkt Seegras der Übersäuerung effektiv entgegen.
  2. Bindung von Kohlenstoff: Seegras wächst zwar sehr langsam, lebt aber lang und ist ein schneller Reaktor in Sachen Photosynthese (ähnlich wie Kelp- und Seetangwälder in anderen Gewässern Europas und der Welt). Sie nehmen Kohlendioxid auf, wandeln es um und lagern den Kohlenstoffanteil in Blättern und Wurzeln ein. Seegraswiesen sind daher bedeutende Kohlenstoffspeicher. Meeresforscher in Mallorca fanden heraus, dass Seegraswiesen durchschnittlich doppelt so viel CO2 speichern können wie z. B. gleich große Flächen tropischer Regenwald, bei optimalen Bedingungen sogar bis zu fünfmal so viel. Wachsende Seegraswiesen können also dazu beitragen, das CO2 in der Atmosphäre zu verringern und so bei der Abschwächung des Klimawandels helfen. (Wie genau erklärt das Helmholtz-Institut in diesem verlinkten Artikel).
  3. Hohe Wasserqualität: Seegras wirkt zudem als natürlicher Filter, indem es Sedimente aus der Wassersäule abfängt und entfernt. Das Wasser wird klarer, das Sonnenlicht dringt tiefer ein und das Wachstum und die Photosynthese werden weiter gefördert. Es versorgt seine Umgebung mit Sauerstoff, wovon die Meeresbewohner profitieren. Sardiniens Meer gilt als das sauberste: Den ersten Platz im 2023er „Guida Blu“ der Umweltschutzoranisation Legambiente belegt Baunei (bzw. die Buchten im Supramonte di Baunei im Golfo di Orosei). Wenig danach folgen die Strände bei Chia im Süden Sardiniens, der Golfo di Oristano mit dem Meeresschutzgebiet AMP Sinis – Mal di Ventre sowie die Baronia bei Posada und am Parco di Tepilora (zu der z. B. auch die Oasi Biderosa gehört).
  4. Lebensraum und Artenvielfalt: Seegraswiesen sind echte Hotspots der biologischen Vielfalt. Sie dienen als wichtige Lebensräume für Meeresorganismen, darunter verschiedene Fischarten, Krebstiere, Weichtiere und Algen. In den Wiesen finden Jungfische einen sicheren Raum und erhöhen ihre Überlebenschancen.
  5. Küstenschutz: Die dichten Wurzelsysteme stabilisieren die Sedimente, verhindern Erosion und erhalten die Küstenlinien. Sie tragen auch dazu bei, die Wellenenergie zu zerstreuen, die Küste vor Sturmschäden zu schützen. Mit seiner über 1.800 Kilometer langen Küste profitiert Sardinien maximal von Seegraswiesen. Und natürlich auch wir Segler und Urlauber.
  6. Wirtschaft und Tourismus: Der Tourismus auf Sardinien ist in hohem Maße von gesunden Seegraswiesen abhängig. Diese Ökosysteme erhalten die Strände und die Wasserqualität, für die die Insel so berühmt ist und die Jahr für Jahr Touristen anziehen. Auch für einen nachhaltigen Tourismus sind sie wichtig, da sie emissionsneutrale oder -arme Aktivitäten wie Segeln, Surfen, Schnorcheln, Tauchen, Wanderungen und andere naturnahe Freizeitaktivitäten favorisieren. Sie schaffen unter Wasser atemberaubende natürliche Landschaften und Artenreichtum. Darüber hinaus unterstützen Seegraswiesen das Fischwachstum und so die kommerzielle lokale Fischerei und das Überleben der letzten Fischer und ihrer Familien.

Die wichtigsten Gründe fasst diese Grafik der Wildlife Conservation Society sehr hübsch zusammen:

Quelle: https://blog.wcs.org/photo/2021/11/01/the-importance-of-seagrass/

Seegraswiesen sind also für das Mittelmeer und insbesondere für Sardinien von enormer Bedeutung.

Also, wenn da irgendwo ein dunkles Feld im oder am Wasser ist – nicht ärgern, sondern freuen! Und nichts tun, was sie beschädigen oder gar zerstören könnte.

Zuvorderst – und da schließen wir wieder den Bogen zum Segeln: Bitte auf keinen Fall den Anker in ein Seegrasfeld werfen!

Und wenn ihr euch nicht sicher seid, ob das am Boden nicht doch Algen oder andere Pflanzen sein könnten: Auch die sind das Zuhause von Meeresbewohnern. Wäre doch schön, wenn wir auch sie in Ruhe ließen und wo möglich, ohne zu stören, in friedlicher Koexistenz unsere Ankernacht verbringen.

Einen RIESENDANK an euch alle!

PS. – Mehr Tipps zum nachhaltigen Segeln, speziell vor Sardinien, findet ihr in diesem Artikel: https://segelrevier-sardinien.de/nachhaltigkeit-im-taeglichen-seglerleben-meeresschutz-kuestenschutz-umweltschutz/

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